Siegertypen
Ein Gespräch mit zwei Naturtalenten
Oben der Gletscher des Kitzsteinhorns, unten das Wasser des Zeller Sees: Die großartige Landschaft bringt immer wieder große Sportlernaturen hervor. Wir haben uns mit zwei Ausnahmekönnern getroffen.
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Menschen im MittelpunktHans-Peter Steinacher
Hans-Peter Steinacher hat einmal gesagt: »Wenn du in Zell am See aufwächst, wirst du zu einem Prozent Segler, zu 99 Prozent etwas anderes.« Dem Pinzgauer ist zunächst ein Leben als Skirennläufer an der Wiege gesungen worden. Aber Steinacher hat nicht genug auf den Rippen, die geringe Hangabtriebskraft verhindert größere Erfolge. Ohnehin ist er gedanklich mehr bei denen, die sich unten im See vergnügen. Steinacher sucht die Nähe zum Wasser. Er hisst die Segel und ist plötzlich wieder, wenn auch im übertragenen Sinne, ganz oben. Im Katamaran wird er mehrfach Europameister, Weltmeister und, 2000 in Sydney, Olympiasieger. Hans-Peter Steinacher, der Vorschoter und gewiefte Taktiker, und sein langjähriger Segel-Partner Roman Hagara, der erfahrene Skipper – das passt. Auch weil die Österreicher als einzige im Feld einer selbst entwickelten Marke vertrauen. 2004 in Athen, die Konkurrenz hat materialmäßig längst aufgeholt, fahren sie wieder vornweg ins Ziel. Doppel-Olympiasieg im Tornado-Segeln, das hat vor ihnen keiner geschafft.
Marlies Schild
Marlies Schild ist das Skifahren in die Wiege gelegt worden. Seit sie denken kann, steht sie auf Skiern. Sie räumt beim Kindercup ab, fährt im Salzburger Schülerkader, besucht den Zweig »Ski alpin«, macht die Matura am Skigymnasium. Über die ÖSV Nachwuchsmannschaft und FIS Rennen kommt sie in den Europa– und den Weltcup. Sie gewinnt so ziemlich alles, was es zu gewinnen gibt. Eigentlich fehlt nur olympisches Gold. »Wenn Marlies durchkommt«, sagt ihr Trainer, »dann steht sie auch auf dem Podest. « Nichts, so scheint es, kann sie aufhalten. Bis sie 2008 schwer stürzt. Bezeichnenderweise im Training. Komplizierte Brüche zwingen sie zu einer fast einjährigen Auszeit. »Das tut weh«, sagt Marlies Schild heute. »Nicht das Gefühl, anderen zuschauen zu müssen, sondern weil man ausgeschlossen ist.« Nicht dabei zu sein ist für die Saalfeldnerin die größte Strafe. Insofern ist es vielleicht ihr größter Triumph gewesen, sich zurückgekämpft zu haben. Nur Wochen nach der Genesung feiert sie den ersten Slalomsieg, bei den Olympischen Winterspielen in Vancouver die Silbermedaille. Und in der Saison 2010/11 holt sie erneut den Gesamtweltcup.
Hans-Peter Steinacher steht kurz vor dem Abflug nach Italien. Er ist mitten in der Saison. Für Red Bull tritt er mittlerweile in der Extreme Sailing World Series an, neben dem America’s Cup die prestigeträchtigste Regatta. Der Unterschied zu früher? »Teamwork«, sagt Steinacher. Gesegelt wird zu viert. Neben Hagara und ihm sind ein Bowman und ein Trimmer an Bord, alt gediente Haudegen aus Neuseeland und England. Anders lässt sich der sieben Meter breite, 14 Meter lange und 20 Meter hohe Karbon-Multihull nicht bändigen.
»Wenn die zehn besten Syndikate der Welt mit bis zu 85 Stundenkilometern auf engstem Raum aggressiv um die Tonnen segeln, dann«, so sagt Steinacher, »muss sich jeder im Team in den anderen hineindenken können«. Blindes Verständnis ist gefragt, eine traumwandlerisch sichere Abfolge von Griffen. »Du brauchst ein irrsinniges Gespür«, sagt der Olympiaheld, »musst körperlich an deine Grenzen gehen und dabei immer das Feld und das eigene Boot im Blick haben.« Keine leichte Aufgabe bei jeweils fünf Wettkampftagen mit bis zu drei Dutzend Rennen. »Wir gewinnen zusammen und wir verlieren zusammen.«
Vor dem Grand Hotel in Zell am See ankert der Extreme 40-Katamaran, eine Trainingsversion des Wettkampf-Modells. Friedlich wiegt sie sich auf dem Zeller See, ehrfürchtig von arabischen Touristenfamilien beäugt, die im Elektroboot um den Zweirumpf-Riesen kreisen. Inzwischen ist Marlies Schild vom Hochkönig gekommen, ihrem Trainingsberg. Ein Beiboot bringt uns zur Boje. Wie Spinnen kauern wir in dem aus Seilen geflochtenen Deck, das zwischen Lee- und Luvrumpf gespannt ist. Die Segel sind gesetzt, doch der Wind ist gnädig. Nur einmal bäumt sich der Luvrumpf auf, neigt sich der Tornado zur Seite.
Ein kurzes Schauspiel, aber ausreichend, um zu erahnen, wie schwer diese halbe Million Euro teuren Boote zu segeln sind. Und wer einmal wie wild an einer der Schoten gezogen oder die Winsch geladen hat, versteht, warum jedes der Manöver auf rauer See anstrengend ist wie ein 100-Meter-Lauf. Explosionsartig entfalten sich da Kräfte, blitzschnell werden Positionen gewechselt, wie von Zauberhand rollen Segel ein und schwenkt der Mastbaum um. Marlies Schild hockt über dem Wasser und beobachtet das Spektakel mit einiger Skepsis. Normalerweise gibt sie die Führung nicht aus der Hand.
Marlies Schild und Hans-Peter Steinacher sitzen nicht nur an diesem milden Spätsommertag im gleichen Boot. Man kennt sich von offiziellen Anlässen. Jeder ist hoch dekoriert und gehört zu den erfolgreichsten seiner Disziplin. Mehrmals Sportlerin des Jahres sie, Ehrenbürger er. Beide wissen, wie Ruhm schmeckt. Und dass der Weg dorthin nicht immer ein Zuckerschlecken ist. Um sechs Uhr früh steht Schild am Gletscher, sechs Tage die Woche Training. »Zufrieden bin ich eigentlich nie«, sagt sie. Denn: »Besser geht’s immer.« Wobei sie vor ihrer schweren Verletzung schon mit einem zweiten Platz gehadert habe. Heute fühle sich ein Sieg anders an. Viel unterwegs sind beide. Steinacher verlässt den Heimathafen an 150 Tagen im Jahr. Dann werden die Kollegen zur Ersatzfamilie. Dafür gibt’s daheim viel zu erzählen, von Oman oder Qingdao. Familie Schild versucht dem Thema Ski nach Feierabend nicht ganz so viel Aufmerksamkeit zu schenken. Nicht ganz leicht, wenn man Heli Ski in Alaska betreibt, eine Skirennschule hat und vier skivernarrte Kinder. Marlies Schild hat sich als Kind für ein Medizinstudium interessiert. Hans-Peter Steinacher ist schon im elterlichen Betrieb eingestiegen, als ihn sein Skipper zurück zum Segelsport geholt hat. Wie gut, dass es sich manche Menschen anders überlegen.