In Bewegung bleiben!
Ein Interview mit Univ.-Prof. Dr. Josef Niebauer
Wir haben mit dem international bekannten Salzburger Sportmediziner und Kardiologen Univ.-Prof. Dr. Josef Niebauer über das Thema Bewegung gesprochen. Warum wir Angst vorm Sofa haben sollten und wie man den eigenen Schweinehund besiegt, lest ihr im folgenden Interview.
Wir befinden uns derzeit in unsicheren Zeiten, müssen mit sozialen Einschränkungen, Sorgen und Ängsten leben. Wie wirken sich diese auf Bewegung und Sport aus?
„Im Allgemeinen ist das eine komplett neue und unbekannte Situation für uns alle. Menschen sehen, wie alle Dinge teurer werden, im Speziellen auch auf den kommenden Winter gesehen. Heizkosten springen durch die Decke, prinzipiell wird an allem gespart was keine Dringlichkeit hat. Wie zum Beispiel das Abo im Fitnessstudio, neue Sportoutfits, etc. Eigentlich eine plausible Schlussfolgerung, jedoch hat das eine mit dem anderen nur begrenzt etwas zu tun. Es darf keinesfalls so weit kommen, dass wir unsere sportlichen Aktivitäten hintenanstellen. Schlussendlich wäre das dramatisch und sparen am falschen Ende. Lassen Sie es mich an einem plausiblen Beispiel erklären: Falls wir im Winter nur kaltes Wasser hätten, würden wir doch trotzdem Duschen gehen. Sport und tägliche Bewegung sind Teile unseres Lebens, ein Teil unserer täglichen Routine bzw. Hygiene, man spricht auch von Gedankenhygiene. Wenn dieser Teil verloren gehen würde, wäre dies dramatisch für Körper, Geist und Seele.“
Wie kann körperliche Aktivität und Sport in diesen Zeiten helfen?
„Jeder kennt es, man hat ein Problem, man weiß nicht weiter, die beste Lösung dafür, der Gang vor die Tür. Plötzlich ist die Sache eine andere, die Karten werden neu gemischt. Das Problem wurde relativiert und die bedrückte Laune ist verschwunden. Genau aus diesem Aspekt ist körperliche Bewegung und Sport in Zeiten wie diesen besonders wichtig. Es macht uns optimistischer, gibt uns mehr Selbstvertrauen, mehr Mut und Kraft, um uns anderen Herausforderungen zu stellen. Körperliche Aktivitäten machen uns glücklicher und gelassener.“
Sie behaupten Faulheit ist eine Sucht – können Sie das etwas genauer beschreiben?
„Faulheit ist eine Gewohnheit, man zieht das Bequeme immer dem Unbequemen vor. Nichts tun ist Mainstream. Eigentlich ein klarer menschlicher Prozess, jedoch auf den Aspekt Bewegung gesehen kontraproduktiv. Wir müssen gezielt die unbequeme Variante suchen und nutzen. Faulheit wird dann zur Sucht, wenn ich Bewegungsangebote ausschlage und stattdessen zum Beispiel den Fahrstuhl, das Sofa oder den Sessel vorziehe. Dieses Phänomen leitet sich aus Zeiten ab, in der die Menschen viel körperlich arbeiten mussten und im Berufsleben so ausgelastet wurden, dass nur noch das Sofa geholfen hat, um abzuschalten und sich zu regenerieren. Jedoch ist auszuschließen, dass solch eine belastende Arbeitssituation unsere Generation betroffen hat.
Hab‘ Angst vorm Sofa nicht vor dem Sport? Was wollen Sie uns damit sagen?
Das Problem an dieser Thematik ist, dass man immer gewarnt wird, sei es nach einer Verletzung oder Operation, man solle sich schonen, man soll sich so wenig wie es nur geht bewegen. Weltweit sterben mehr Menschen an körperliche Inaktivität als am Rauchen. Körperliche Fitness ist der stärkste Prädiktor für ein gesundes und langes Leben, ein stärkerer Prädiktor als der Blutdruck oder der Blutzucker je sein könnte. Was ich damit sagen möchte ist, dass wir nicht beim Sport sterben, wir sterben auf dem Sofa! Wir müssen einen vernünftigen Umgang finden und uns zweifellos für den Sport entscheiden. Die pauschale Krankschreibung muss der Vergangenheit angehöhren. In diesem Zusammenhang komme ich auf ein allseits bekanntes Sprichwort zurück: „Sitzen ist das neue Rauchen.“ Dieses Problem haben wir, weil die breite Masse unterschätzt, wie positiv Bewegung und wie gefährlich körperliche Inaktivität ist.“
Was kann man tun, um den inneren „Schweinehund“ zu besiegen?
Eine Frage, die mir sehr oft gestellt wird. Wie belohne ich mich selbst dafür, Sport zu machen, also quasi wie überwinde ich meinen eigenen inneren Schweinehund. Meine Antwort darauf, Sport ist meine Belohnung, ich belohne mich mit Sport. Es gibt nichts Schöneres, als nach einem harten anstrengenden Tag rauszugehen und mich zu bewegen. Das ist die Belohnung für die Dinge, die ich tagsüber einstecken musste. Da kann ich meine Akkus aufladen und einfach ich sein. Die Bewegung muss zu etwas werden, was uns wirklich Spaß macht und zu einem Teil unseres Lebens werden, auf den wir nicht mehr verzichten möchten, ohne den wir nicht mehr leben können. Es liegt jedoch an jedem selbst etwas zu finden, was einem Spaß macht, was einem Freude bereitet. Ideal wäre es, wenn zwei „Schweinehundbesitzer“ gemeinsam Gassi gehen würden. Zu zweit geht einiges leichter. Diese Gruppendynamik ist Gold wert. Jedem muss klar sein, kein Sport ist keine Option. Selbstverständlich gibt es auch konkrete Tipps, um den inneren Schweinehund zu überwinden. Ein toller Motivator könnte die richtige Ausrüstung sein. Ein Paar neue Joggingschuhe oder eine coole Hightech-Jacke. Wenn es ohne Motivator nicht geht, dann belohnen Sie sich einfach dafür. Überhaupt in der Anfangsphase sind Belohnungen Gold wert.
Wie kann ich wieder mehr Bewegung in den Alltag integrieren? Tipps?
In einem intakten Arbeitsalltag ist die Integrierung von Bewegung und Sport sehr schwer möglich. Jedoch muss man beachten, dass man nach einem 8 Stunden Arbeitstag noch weitere 16 Stunden zur Verfügung stehen hat, in die man Aktivitäten und Bewegung einbauen kann. Als nächstes stellt sich die Frage warum gehe ich nicht zu Fuß zur Arbeit, warum fahre ich nicht mit dem Rad zur Arbeit? Klar, ein wesentlicher Aspekt dafür kann die Entfernung vom Wohnsitz zur Arbeitsstelle sein. Nur dann parke ich eben nicht gemütlich im Parkhaus meines Arbeitgebers, sondern nehme den Parkplatz der 15 min von meinem Arbeitsort entfernt liegt. Das sind auch schon 15 Minuten Gehzeit hin und zurück, also schon mindestens eine halbe Stunde Bewegung am Tag. Wir müssen auf unserer Prioritätenliste die Bewegung so hoch ansiedeln, dass diese die höchste Priorität hat, damit wir uns die Zeit dafür nehmen, damit uns die Wichtigkeit dieser halben Stunde Bewegung bewusst wird. Unter der Arbeitszeit selbst ist die Integration von Sport sehr schwierig, klar man ist an den Schreibtisch gebunden, an Meetings etc., nur man sollte schon bei den kleinen Dingen beginnen. Nimm‘ die Treppe anstelle des Aufzuges. Geh‘ in deiner Mittagspause nach draußen. Nutze die kurzen Pausen, um dich zu bewegen. Suche das Unbequeme und werde aktiv!
Kann man allgemein sagen, wie viel Sport oder Bewegung „gesund“ ist? Gibt es ein Maß?
„Die offiziellen Vorgaben der Weltgesundheitsorganisation sind, dass man pro Woche 150 - 300 Minuten körperlich aktiv sein sollte, das sind ca. zweieinhalb bis fünf Stunden, in einer Intensität wo meine Atmung und meine Sätze kurz werden. Also wir sprechen hier von Sport, ich schwitz, das sollte im subatomaren Bereich sein, vergleichbar mit Joggen. Das ist ein Richtwert, an dem sich max. ein drittel der Bevölkerung hält.
Fünf bis sechs Stunden Sport pro Woche sind körperlich gesund, je mehr wir uns in diesem Bereich bewegen desto besser. Der Aspekt der Regeneration ist auch sehr wichtig. Jeder Mensch, der halbwegs mit seinem Körper vertraut ist, weiß selbst wie viel Regeneration er benötigt. Einfach auf den eigenen Körper hören. Wir sind keine Profis, wir können uns Pausen gönnen und diese sind auch wichtig damit es zu keinen Verletzungen kommt. Hier spreche ich primär vom Muskel-, Bänder- und Knochenapparat, damit sich dieser erholen kann. Jedoch muss ein „Restday“ nicht immer Nichtstun heißen. An einem Regenerationstag können auch zur Abwechslung Dehn- oder Gymnastikübungen gemacht werden."