Christoph: Waldbaden kommt ja aus Japan, nennt sich „Shinrin Yoku“ und seine heilsame Wirkung und Stressminderung wird dort seit den 80er-Jahren wissenschaftlich erforscht und in Therapien eingesetzt. Hierzulande wird man noch oft belächelt bei dem Begriff „Waldbaden“. Angeblich soll es nicht nur das Immunsystem stärken, sondern sogar gegen Krebs helfen?   

Theresa: Zuerst muss man den Begriff Waldbaden einmal definieren. Waldbaden bedeutet, bewusst in die Atmosphäre des Waldes einzutauchen und die Natur um sich herum wahrzunehmen. Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass jeder den Begriff Waldbaden für sich selbst definieren muss und für sich die passende Achtsamkeits-, Meditations- und Atemübung im Wald finden muss. Es ist eine Entspannungsmethode, die sich positiv auf den Parasympathikus des vegetativen Nervensystems auswirkt, was wiederum die natürliche Produktion an T-Zellen, sogenannten Killerzellen, anregt und dadurch das Immunsystem stärkt. Außerdem unterstützt Waldbaden bei Stressabbau, mentaler Disbalance und verbessert den Bewegungsapparat durch moderates Gehen.

 

Christoph: Stichwort Achtsamkeit - Wir wissen mittlerweile alle, wie wichtig es für uns und unsere Mitmenschen ist, achtsam und mit allen Sinnen zu leben, unser Leben und Tun bewusst wahrzunehmen. Auch Dankbarkeit zählt dazu. Wie kann mir ein Besuch im Wald dabei helfen - was lehren mich „die grünen Riesen“?  

Theresa: Also, wenn ich über Achtsamkeit spreche, denke ich, dass es auch hier wichtig ist, zunächst zu definieren, was damit gemeint ist. Achtsamkeit bedeutet, bewusst im Moment zu sein, die Umgebung bewusst wahrzunehmen und keine schnellen Urteile zu fällen. Wir können viel von der Natur und den Lebewesen darin lernen, nicht immer zu urteilen oder zu verurteilen. Wenn ich mir die Natur anschaue, sehe ich verschiedene Spezien, die in Harmonie leben und sich gegenseitig unterstützen, wie das Beispiel des Baumes und des Mykorrhiza-Pilzgeflechts. Sie leben in Symbiose und tauschen Nährstoffe aus, ohne ihre eigene Spezies zu gefährden. Wir können uns den achtsamen Umgang miteinander, sowie zu uns selbst und das nicht urteilen definitiv von der Natur abschauen.

Baumrinde ertasten

Christoph: Bewegung in der Natur hat durch die Pandemie immer mehr an Beliebtheit gewonnen – jetzt, wo sich das Alltagsleben wieder weitgehend normalisiert hat, schleichen sich wieder alte Gewohnheiten ein. Doch für Waldbaden braucht es keine endlose Natur – auch der Stadtpark ums Eck kann eine energiereiche Oase für Kraft und Heilung sein – wie würde deine perfekte Büro-Mittagspause im Grünen aussehen?

Theresa: Wenn ich eine Pause brauche, schalte ich mein Handy aus und meinen Waldmodus an. Ich gehe ein wenig spazieren und achte dabei gezielt auf meine Atmung, um den Stress hinter mir zu lassen. Dann suche ich mir einen Platz im Grünen, gerne unter einem Baum, und genieße meine Mittagspause. Ich esse etwas, lese vielleicht ein wenig und gehe dann weiter spazieren. Dabei achte ich bewusst auf meine Atmung, denn Bewegung und Atmung bedeuten für mich Leben. Auch wenn ich nur im Stadtpark bin, hilft mir die Natur, mich zu entspannen und Energie zu tanken.
 

Christoph: Mediennutzung, Bewegungsmangel, Schul- und Freizeitstress – Kinder sind heutzutage sehr gefordert und finden unter Umständen schwer zu Ruhe und Entspannung. Es gibt Untersuchungen, dass ADHS-geplagte Kinder merklich entspannter und konzentrierter waren nach einem Aufenthalt im Grünen. Wie kann man Kinder an das Waldbaden heranführen, wie können wir sie für den Wald begeistern?

Theresa: Auf jeden Fall spielerisch bzw. bei Jugendlichen an das Alter angepasst. Vor Weihnachten war ich in einem Kindergarten in Pfarrwerfen und durfte dort spielerisch die Kinder an das Waldbaden heranführen. Hier habe ich einfache Bewegungsübungen eingebaut, Waldlieder gesungen, wir haben Vogelfutter gebastelt und im Wald einen Baum geschmückt. Bei Jugendlichen ist das oft gar nicht so leicht, hier versuche ich einfach ihnen mit Produkten wie z.B. einer Haarspülung aus Fichtennadeln oder einem Lippenpflegestift, den Wald und seine natürlichen Produkte näherzubringen.

Moos und Waldboden ertasten
Waldbaden bedeutet, bewusst in die Atmosphäre des Waldes einzutauchen. Es stärkt dein Immunsystem und unterstützt Stressabbau.
Theresa Sommerbichler
Bergführerin und Pflanzenheilkunde-Praktikerin

Christoph: Theresa, du beschreibst dich als kreativer Kopf, begeisterte Entdeckerin und wissbegieriger Naturmensch. Was hat dich dazu bewogen, deinen sicheren Job an den Nagel zu hängen, um dich der heilsamen Natur und seiner Geheimnisse zu widmen?

Theresa: Mein Weg begann 2014 mit einem Schicksalsschlag in meiner Familie. Ich war überfordert und wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte. Eine Arbeitskollegin riet mir, auf den Berg zu gehen, was ich dann auch tat. Und so bin ich frühmorgens zur Bockhartscharte in Rauris aufgestiegen und habe mich dort oben niedergelassen. Plötzlich hatte ich eine völlig neue Perspektive auf alles. Das Wandern in der Natur half mir dabei, mich wiederzufinden und mir ging es dadurch besser. Die Natur wurde dann Schritt für Schritt zu meinem Hobby. Vor zwei Jahren saß ich dann im Büro und mir wurde klar, dass ich die Menschen, die ich erreichen wollte, nicht wirklich spürte. Ich wollte Menschen helfen und ihnen zeigen, was mir geholfen hat. Und da kam mir die Idee: Warum mache ich nicht das, was ich am besten kann und am liebsten tue? Leute begeistern, über die Natur sprechen, wandern und die Natur als Entspannungsform anerkennen. Derzeit arbeite ich neben meiner Selbstständigkeit auch noch gemeinsam mit der Universität Salzburg und der Universität München am Projekt WIWA². Dabei werden Naturräume analysiert und, wir versuchen herauszufinden in welcher Form Wald und Wasser positive Auswirkungen auf den menschlichen Organismus haben.

 

Christoph: Dank der digitalen Vernetzung können wir uns mittlerweile per Knopfdruck mit anderen Menschen verbinden, immer und überall. Komplexerweise macht uns genau das oft ziemlich einsam. Auch in der Arbeitswelt führt die Digitalisierung zur „Always On“ Mentalität. Arbeitnehmer sind oft rund um die Uhr verfügbar, können Arbeitszeiten von Freizeit nicht mehr trennen. In Japan ist Waldbaden deshalb bereits als Therapieform anerkannt und wird vom Arzt verschrieben. Hier werden auch mittlerweile gezielt Rehab-Zentren am Waldrand errichtet. Ist dieses Modell oder die Form der Therapie in Zukunft auch für Österreich denkbar?

Theresa: Warum nicht? Das System muss sich auf jeden Fall noch ändern, jedoch gib es zum Beispiel auch schon ein Therapiezentrum in Niederösterreich, wo Waldbaden in der Therapie eingebaut wird. Ich selbst habe einen kleinen Traum von einem Waldzentrum, welches sich mitten in einem Fichten- oder Laubwald befindet und ein Platz für Ruhe und Erholung sein soll.

Atemübung während des Waldbadens

Christoph: Lass uns über die gewaltige Energie sprechen, die im Wald herrscht: Die Bäume sind unterirdisch miteinander vernetzt und kommunizieren über das sogenannte „Wood Wide Web“. Das klingt spannend, wie dürfen wir uns das vorstellen?

Theresa: Bäume sind über das Mykorrhiza Pilzgeflecht unterirdisch verbunden, dadurch können Bäume untereinander bzw. auch Bäume und Pilze Nährstoffe austauschen. Dieser Pilz ist ein Feinwurzelsystem, welcher die Wurzel des Baumes befällt und somit mit dem Baum in einer Symbiose lebt. Der Pilz erhält Zucker vom Baum und dem Baum wird im Gegenzug die Aufnahme von Nährstoffen und Wasser erleichtert.

 

Christoph: Bäume geben ja über ihre Rinde verschiedenste Botenstoffe ab, man spricht von Terpenen bei Nadelbäumen – aus was bestehen diese, was ist der Nutzen für die Natur und wie können sie unsere Gesundheit stärken?

Theresa: Terpene bei Nadelbäumen und Isoprene bei Laubbäumen sind Botenstoffe, über die Bäume ebenfalls kommunizieren können. Durch diese entsteht auch der typische Waldgeruch, welche besonders nach Regen intensiv wahrnehmbar ist. Diese Botenstoffe werden meistens vermehrt freigesetzt, etwa um Artgenossen vor gefräßigen Insekten zu waren. Sie wirken sich positiv auf unser Nervensystem aus und lassen uns zur Ruhe kommen.

Tannennadeln riechen während des Waldbadens
Bäume geben Botenstoffe ab, die wir als typischen Waldgeruch wahrnehmen. Sie wirken sich positiv auf unser Nervensystem aus und lassen uns zur Ruhe kommen.
Theresa Sommerbichler
Wald- und Gesundheitstrainerin

Christoph: Stichwort Kreativität - Waldbaden soll auch kreative Prozesse anregen und zu höherer Konzentration beitragen. Wie kommt das?

Theresa: Durch den Waldmodus, der uns entspannen und abschalten lässt, schaffen wir es, den kreativen Prozess wieder neu zu starten. Man kennt ja das Sprichwort „einfach mal eine Nacht drüber schlafen“, oft eröffnen sich durch solche Pausen wieder neue Wege oder man bekommt einen neuen Blickwinkel auf die Dinge.


Christoph: Sicherlich fragen sich unsere Leser nun: Wie oft bzw. wie lange sollte man sich im Waldbaden üben, bis sich die erwünschte Wirkung einstellt? Welche Tipps kannst du uns mitgeben, um möglichst lange von der heilsamen Kraft zu profitieren?

Theresa: Wie oft und wie lange man Waldbaden soll, dazu gibt es leider derzeit noch keine Studien. Jedoch gibt es Untersuchungen, dass ein mehrstündiger, regelmäßiger Aufenthalt im Wald zu mehr Entspannung führt und dadurch der Parasympathikus sehr aktiv ist. Der Parasympathikus ist unsere „Ruhenerv“, welcher für die Entspannung und Regeneration zuständig ist. Meine persönliche Meinung: Bau den Wald in dein tägliches Leben ein! Geh z.B. in deiner Mittagspause raus in die Natur, sei es der Stadtpark nebenan!

Die grünen Riesen des Waldes bewundern

Christoph: Wir wollen wir unseren Lesern zeigen, dass Waldbaden jedem nutzt, einfach zu erlernen ist und keiner Ausrüstung bedarf. Wir stehen hier mitten im Wald, wie sieht bei dir eine typische Waldbade-Einheit aus?

Theresa: Im Sommer dauert bei mir eine typische Waldbade-Einheit ca. 4 Stunden und läuft wie folgt ab:

1. Lächelndes Gesicht: Wir teilen untereinander eine Geschichte aus dem Wald, die uns in Erinnerung ist.

2. Sorgenrucksack: Wir hängen unsere Sorgen an die Waldgarderobe.

3. Sinnesscan: Dabei öffnen wir unsere Sinne. Unter Anleitung von mir. Wir konzentrieren uns Step by Step auf unseren Tast-, Hör-, Geruchs- und Sehsinn.

4. Fühlspiel: Wir ziehen unsere Schuhe aus und erkunden barfuß den Waldboden. Im Anschluss daran führen wir uns gegenseitig abwechselnd mit geschlossenen Augen zu einem Baum. Der oder die „Blinde“ darf ertasten und fühlen. Nach der „Blindenführung“ muss dieser oder diese nämlich ihren Baum wieder finden. Eine Übung, die ich auch sehr gerne mit Kids mache.

5. Senden und Empfangen: Bäume schenken uns Sauerstoff. Wir schenken ihnen Kohlendioxid, das sie zur Photosynthese brauchen. Jede:r sucht sich einen Baum und stellt sich vor, das dieser eine Baum uns Sauerstoff schenkt und du schenkst ihm ganz allein Kohlendioxid. Senden und Empfangen also.

6. Wald-Oxymel trinken und Dankbarkeit: Gemeinsam sitzen wir uns auf den Waldboden und trinken ein Glas selbstgemachtes Wald-Oxymel. Dabei erzähle ich meine Geschichte und bitte darum, dass sich jede:r überlegt, wofür er oder sie wahrhaftig im tiefsten Inneren dankbar ist. Meist kehrt dann etwas Stille ein, was ein sehr gutes Zeichen ist.

7. Gemeinsamer Spaziergang: Zurück in Stille oder auch nicht. Wie es für jede:n passt.

 

Christoph: Was möchtest du unseren Kunden für einen bewegten und kraftvollen Sommer noch mitgeben?

Theresa: Bleib bei dir, lern dich selbst kennen, finde deine Leidenschaft.  Nur wenn ich bei mir selbst bin und weiß, was ich will, nur dann kann ich auch für andere da sein.

 
Christoph: Danke, Theresa, für dieses bewegende und inspirierende Gespräch!

Barfuß gehen im Wald